Mit Konsens zum Projekterfolg – geht das überhaupt?
Mit Konsens zum Projekterfolg – geht das überhaupt?

von Florian Senda

Mein Kollege Karsten schrieb vor einem Monat an dieser Stelle einen vielgeteilten Eintrag, wie für ihn bisher die Corona-Pandemie verlief. Meine Gedanken kreisten in den letzten vier Wochen um das Thema für den heutigen Blog-Beitrag. Wir sind als Unternehmensberater genauso von den Einschränkungen betroffen wie alle anderen auch. Doch darüber zu lamentieren, ist wohlfeil. 

Deswegen möchte ich mich heute der Frage widmen, ob Projekte nicht erfolgreicher und besser umgesetzt werden, wenn auf Konsensorientierung fokussiert wird. 

Projektkonfiguration und -struktur 

Am Anfang steht der Projektauftrag. Mit dessen Erstellung und korrekter Formulierung lassen sich bereits viele Erfolgsfaktoren beschreiben. Unabhängig von den unterschiedlichen Projektmanagementmethoden müssen vor Start folgende Fragestellungen im Auftrag geklärt, dokumentiert und von der Unternehmensleitung abgesegnet werden: Projektziel (am besten SMART formuliert), Zeitdauer, Budget, Qualität und Umfang des Liefergegenstandes. Daraus ergeben sich die ersten Strukturen, die im Projektverlauf eingehalten werden sollten. 

Das Projektteam arbeitet an der Umsetzung der Ziele innerhalb der gesetzten Parameter, der Projektmanager steuert und überwacht diese und berichtet den Projektfortschritt an den Projektsponsor (in der Regel ein Mitglied der Unternehmensleitung)Sollte es Abweichungen dieser Parameter über ein bestimmtes, definiertes Maß hinaus geben, muss der Projektmanager mit dem Projektteam mögliche Anpassungen diskutieren und in eine Entscheidungsvorlage überführen, die dann vom Management genehmigt werden sollte.  

Die Sache mit der Veränderung 

Projekte zielen immer darauf ab, etwas zu verändern und einen neuen Zustand im Unternehmen herzustellen. Und ab hier beginnen die Probleme: Veränderungen, die sich sachlich und logisch erschließen, treffen auf Menschen, die mit ihnen umgehen müssenMenschen verfolgen ihre eigenen Ziele und priorisieren die durch das Projekt anstehende Veränderung für ihr persönliches Fortkommen. Außerdem spielt die emotionale Ebene eine wesentliche RolleDie Kombination von Priorisierung und Emotionalität lässt jeden handelnden Akteur das Projekt einordnen – zwischen vollständiger Ablehnung und Unterstützung. Ein wichtiger Treiber ist, dass Projekte und deren Funktionen nicht in der Linie stattfinden, sondern ein bestmöglich interdisziplinäres Miteinander abbilden. Willkommen in der Welt der politischen Spielchen! 

Kommunikation, Kommunikation, Kommunikation 

Nachdem die Stakeholder des Projekts definiert wurden, kann eine maßgeschneiderte Projektkommunikation aufgesetzt werden. Diese soll empfängergerecht über den Fortschritt berichten, Bedenken ausräumen und mögliche Fragestellungen klären. Dennoch treten häufig unerwünschte Nebeneffekte auf: Selbst, wenn deutlich kommuniziert wird, dass das Projektziel nicht den Abbau von Personal zur Konsequenz hat, beschäftigen sich Mitarbeiter mit der Frage, ob sie nach der Umsetzung weiterhin benötigt werden. Diese Sorgen wabern nicht deutlich artikuliert durch das Unternehmen, gerne durch die Raucherecke, die Kantine oder den FahrstuhlSchnell verselbstständigen sich die Sorgen und werden zu veritablen Gerüchten, die die Akteure ihre Einschätzung über das Projekt ändern lassen. 

Mit Konsens ans Ziel 

Spätestens jetzt wird es ungemütlich in der Projektarbeit: Mitarbeiter instrumentalisieren die Kollegen im Projektteam auf ihre Weise und eventuell wird die Unternehmensleitung unruhig; bedarfsweise ignoriert sie die offenbare Veränderung. Forderungen kommen auf, diese oder jene Sicht zu berücksichtigen bzw. Anpassungswünsche aus der Organisation entgegenzunehmen, damit „sich alle im Projekt wiederfinden“. Nichts anderes ist Aushandlung einer konsensfähigen Position. So charmant dieser Ansatz scheint, weil er vermeintlich den Betriebsfrieden wahrt, führt er geradewegs auf den steilen Weg hinab ins Tal der gescheiterten Projekte.  

Ziele werden angepasst oder sogar inhaltlich verändert, die Zeitplanung und das Budget geraten aus den Fugen. Am Ende versandet das Projekt und steht faktisch vor dem Aus oder wird als überteuerte Fehlleistung wahrgenommen. 

Die eingangs geschilderte Projektstruktur erwartet, dass die Kompetenzen hierarchisch beim Projektleiter gebündelt werden, der die anfallenden Aufgaben und Fragenstellungen sachlich anhand der definierten Kriterien einordnet. Dazu muss er willens – und ermächtigt – sein, Verantwortliche auf ihre Lieferzusagen hinzuweisen und diese verbindlich einzufordern. Nach oben hin verdichten sich Kommunikationsstränge und die Projektverantwortung auf EINE Person, die ihren Auftraggebern Bericht erstattet. 

Vielstimmigkeit und Konsensorientierung, auch, wenn Manches modern erscheint, kann notwendige Entscheidungen und den Projekterfolg nachhaltig torpedieren. 

Nicht jeder Leser mag mir sofort zustimmen. Daher möchte ich zum Abschluss folgende Denksportaufgabe geben: Schaut Euch das Projekt „Impfungen gegen Covid-19 in Deutschland“ an und überlegt, welchen Einfluss eigene Sichtweisen, persönliche Animositäten, Verantwortlichkeiten und Kommunikation zu den Stakeholdern Einfluss auf die Wahrnehmung der Umsetzung dieser Aufgabe haben. Wir leben in einem föderalen System, während Unternehmen üblicherweise hierarchisch organisiert sind. Ich möchte auch nicht jetzt als Fürsprecher für autoritäre Staatsformen wahrgenommen werden. Auch die USA sind eine föderale Demokratie – und dort ist zurzeit die Impfgeschwindigkeit deutlich höher (per Kopf) als in Deutschland. Würde es besser laufen, wenn die Gesamtverantwortung an einer Stelle zusammengeführt wird? Vermutlich ja. 

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